| Struktur im Nachwuchstraining

Talente auf Kurs bringen

Training
Fachzeitschrift „leichtathletiktraining“
Grundlagentraining
Aufbautraining
Trainingspraxis
Überdurchschnittlich talentierte Sportler fallen oft durch besonderen Trainingseifer auf. Nicht selten trainieren sie bereits im Grundlagentraining zusätzlich zum Vereinstraining noch individuell oder gehen einer weiteren Sportart nach. Was zunächst alles andere als schlecht, im Gegenteil sogar vorteilhaft für die Entwicklung sein kann, kann in späteren Trainingsjahren für Trainer zur Herausforderung werden, wenn es darum geht, die Nachwuchsathleten in ein auf langfristigen Erfolg ausgelegtes, periodisiertes Training zu überführen. Hier gilt es, ihnen auf verschiedenen Wegen ein Gespür dafür zu vermitteln, dass mehr nicht unbedingt besser bedeutet.
Andreas Grieß

 

Einleitung

Dem Basketball-Trainer Tim Notke wird das Zitat zugeschrieben: „Hard work beats talent when talent doesn’t work hard.“ Zu deutsch etwa: „Harte Arbeit schlägt Talent, wenn Talent nicht hart arbeitet.“ Dieses vielfach in Trainerausbildungen vorgetragene Zitat beschreibt eindrucksvoll, dass der Umgang mit dem jeweiligen Talent letztlich bedeutsamer ist, als das Talent selbst. Gleichwohl haben vieleTrainer auch schon die Erfahrung gemacht, dass auch noch so hart und gut trainierende Sportler nicht automatisch in die Spitze vordringen, weil sie schlichtweg nicht genug Talent mitbringen. Diese latente Ungerechtigkeit ist dem Sport immanent und stellt manchen motivierten Sportler und Trainer vor emotional schwierige Aufgaben. Niemand verliert schließlich gerne, obwohl er alles (realistisch betrachtet vermutlich eher: vieles) richtig gemacht hat. 

Auf der anderen Seite sind es überdurchschnittlich talentierte Sportler, die häufig schon in der Jugend Erfolge feiern können, ohne dabei perfekt trainieren zu müssen. Als Erfolge in diesem Zusammenhang sind nicht zwangsläufig vordere Platzierungen zum Beispiel bei Deutschen U16-Meisterschaften anzusehen, wohl aber erkennbar stärkere Leistungen als die der meisten Gleichaltrigen und der Trainingsgruppe. 
 

Was sind Talente?

Physiologisch sind Talente oftmals diejenigen Sportler, die besonders gut auf Trainingsreize reagieren. Im Sinne eines vorbildlichen Voraussetzungstrainings bedeutet dies, dass sie auch mit einem großen Anteil an allgemeinem Training zu Erfolgen kommen und gleichzeitig die Voraussetzungen für Höchstleistungen in späteren Trainingsjahren legen können. 

Neben den physiologischen Aspekten bringen Talente noch etwas mit: Erfolgshunger. Die Sportler, denen später die Tür zu größeren Erfolgen offensteht, heben sich nicht selten auch dadurch von ihren Altersgenossen ab, dass sie eine höhere Bereitschaft zum Training vorweisen. Sie geben sich nicht damit zufrieden, besser als der Rest der Trainingsgruppe zu sein, sondern streben nach noch höheren Zielen. Spätestens im Aufbautraining ab der U18 liegt hier auch eine Gefahr: Weil das Training den Talenten bis dahin „leicht“ fällt, können sie dazu neigen, in Übertraining abzurutschen, das erst zu spät erkannt wird und spätere Potenziale verschließt. Mit der wachsenden Anzahl an angeleiteten Trainingseinheiten nimmt die Bedeutung der Periodisierung und der Belastungssteuerung zu. Gilt für Kinder noch sehr vereinfacht gesagt: „Je mehr Bewegung, umso besser für die Entwicklung“, müssen Trainer nun darauf achten, dass ihre Athleten nicht außerhalb ihres Blickes zu viele zusätzliche oder kontraproduktive Reize setzen.
 

Klüger trainieren

Wenn es darum geht, das Training im Hinblick auf eine weitere Leistungssteigerung, abgesehen von Effekten durch Kontinuität, zu optimieren, kann man plakativ ausgedrückt zwischen drei grundsätzlichen Wegen wählen:

  • mehr trainieren
  • härter trainieren
  • klüger trainieren

Obgleich fast jeder wohl, wenn derart dargelegt, die dritte Option als goldenen Weg bezeichnen würde, wird in der Praxis meist nur zwischen den ersten beiden Möglichkeiten abgewogen. Dies liegt freilich auch daran, dass jeder wohl etwas anderes unter klugem Training verstehen dürfte. Doch obwohl es viele Erfolgswege gibt, gibt es auch grundsätzliche physiologische und metabolische Grundsätze, an denen sich nicht rütteln lässt. Rein sachlich betrachtet, gibt es demnach sehr wohl klügeres und weniger kluges Training.

An dieser Stelle ist es nicht notwendig, ins Detail zu gehen. Klar ist ferner, dass es stets Erkenntnisgewinn geben wird und sich daraus stets Möglichkeiten für eine Optimierung von Training ergeben werden.
 

Training erklären

Der Weg vom Talent zum Spitzensportler ist nicht nur ein Trainingsprozess, sondern auch ein Reifeprozess. Absolute Spitzenathleten vertrauen zwar in den allermeisten Fällen weiterhin auf den Rat und die Arbeit von Trainern, haben über die Jahre auf vielfältige Weise jedoch ein Verständnis für das Training entwickelt und wissen sehr genau, welchen Zweck einzelne Trainingseinheiten erfüllen oder sogar, welche Prozesse in ihrem Körper sie auslösen. Dies ist ein Fortbildungsprozess, den Trainer unterstützen sollten. 

Der erste Schritt in diesem Fortbildungsprozess ist der Austausch von Athleten und Trainer über das Training und die Begründung des Trainings. Ein autoritärer Coach, womöglich sogar mit beeindruckender Erfolgsbilanz, wird sicher für einige Zeit lang auch befehlsartig sein Training durchsetzen können. Doch auch er tut, genauso wie jüngere oder im Führungsstil kommunikativ-sozial veranlagte Trainer, gut daran, sein Training zu erklären. Dies kann ein nachhaltiges Fundament für eine Zusammenarbeit bilden und hilft, bei Talenten mögliche innere Selbstzweifel, ob sie gut oder hart genug trainieren, zu moderieren. Solche Unsicherheiten sind bei noch nicht sehr erfahrenen Leistungssportlern häufig, treten aber selten offen zutage.

Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass sie mit einem deutlich besseren, da fundierten Feedback rechnen können. Im besten Fall gelingt es Trainern so, einen Teil des Leistungshungers, der gewissermaßen nicht immer in Gänze auf die Bahn gebracht werden soll, in die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Training zu kanalisieren. Soll heißen: Es gelingt, dass der Athlet seine intrinsische Motivation, besser zu werden, zunehmend von sich aus dahin lenkt, klüger zu trainieren. Solche mündigen Athleten neigen nicht so schnell dazu, blind drauf los zu trainieren. Trainer können den Prozess unterstützen, indem sie den entsprechenden Athleten Literaturtipps geben oder sie animieren, an einer Trainerausbildung teilzunehmen. Auf diese Weise können sich Trainer zudem geeignete Assistenzcoaches oder Schülertrainer heranziehen.

Ein mündiger Athlet ist oftmals auch ein kritischer Athlet, was zunächst einmal etwas Gutes ist. Gleichwohl sollten sich Trainer bewusst sein, dass es auch anstrengend sein kann, wenn über jede Einheit diskutiert werden will oder von Athletenseite ständig neue Vorschläge herangetragen werden. Hier gilt es, eine passende Balance zu finden und auch Grenzen zu ziehen. Wichtig ist zudem, gleichzeitig beim Athleten ein ausreichendes Verständnis von individuellen Leistungsvermögen und Trainingsstand zu schaffen. Übermotivation kann auch bei „belesenen“ Athleten vorkommen. Mitunter passiert es, dass Jugendliche das Training von Spitzenathleten aus dem Zusammenhang gerissen nachahmen wollen.
 

Vorbilder schaffen

Es ist völlig normal, dass Sportler nach links und rechts schauen und beobachten, was andere tun. Gerade durch starke Leistungen hervorstechende Talente bekommen oftmals zudem ungebeten den Rat von Dritten, der nicht immer hilfreich sein muss. Trainer sollten daher ein Auge darauf haben, wer außer ihnen den eigenen Athleten gefragt oder ungefragt versucht, das Training oder den Weg zum Erfolg zu erklären. Dabei sollte man nicht außer Acht lassen, dass der Trainer es insbesondere in der U18 und U20 mit Heranwachsenden zu tun hat, denen aufgrund ihres Alters und des Lebensabschnitts, in dem sie sich befinden, oftmals einen gewisser Grad an Unsicherheit zu eigen ist. Dies wird in sportlicher Hinsicht noch verstärkt, sollte Erfolg ausbleiben, die Entwicklung stagnieren oder das Leistungsvermögen sich für den Trainer absehbar erst in einer späteren Karrierephase deutlich zeigen. In solchen Fällen können Sportler auch für „schlechte Ratschläge“ empfänglich sein, die bestenfalls nur gut gemeint, aber nicht hilfreich sind; schlechtestenfalls aber auch dazu führen können, das Talente „verheizt“ werden. Immer wieder kommt es vor, dass Vereine oder Trainer Nachwuchssportler bewusst abwerben wollen. Hier gilt es zu unterscheiden, ob dies nur dazu dient, das Ego des Trainers oder Vereins zu befriedigen, oder ob ein erfahrener Trainer oder potenter Verein womöglich wirklich für die Entwicklung des Talentes vorteilhaft sein kann.

Dass Sportler sich zusätzliche Meinungen anhören ist aber nicht nur eine Gefahr, sondern oftmals eine Chance: Gut moderiert, können externe Ratgeber Gold wert sein. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Bundes-, Landes- oder sonstigen Kadertrainern kann durch die zusätzliche Expertise dem Heimtrainer und den Athleten zum Vorteil gereichen. Wichtig sind hier gute Absprachen zwischen Verbands- und Heimtrainer, damit keine Widersprüche vor dem Athleten ausgetragen werden, sondern gegenseitig die Autorität gestärkt wird.

Wenn möglich können zudem Spitzenathleten eine Inspiration sein. Sie sind es schließlich, denen die jungen Talente bestenfalls nacheifern. Wenn sie davon berichten, dass auch sie lernen mussten, Ruhe und Regenerationsphasen wertzuschätzen, das Training gewissenhaft zu protokollieren oder dass Übertraining im schlimmsten Fall sogar zu Verletzungen und damit dem Verzicht auf wichtige Wettkämpfe führen kann, schenken ihnen die Talente Gehör. Und mehr noch: Sie schenken ihnen mitunter mehr Glauben, als ihren Trainern, schließlich haben die Stars bewiesen, dass es geht.
 

Fazit

Talente zu finden ist sicherlich eine schwierige Aufgabe. Die Arbeit für Trainer und Vereine beginnt danach jedoch erst so richtig. Nur die wenigsten Leichtathleten bestreiten idealtypisch einen geradlinigen Weg vom spielerischen Training in der Kinderleichtathletik bis hin zu einer Profikarriere. Auf dem Weg dorthin gilt es, sowohl das Training so zu gestalten, dass das größtmögliche Potenzial geschöpft wird, als auch bei den Sportlern den Spaß und die Motivation hoch zu halten. Trainer müssen deshalb nicht nur das Training planen, sondern die Talente auf dem Weg zu einem mündigen Athleten mitnehmen. Dieser Weg sieht bei jedem Sportler anders aus: Während der eine Athlet eine enge Führung braucht und annimmt, muss der andere vielleicht auch mal Einheiten absolvieren dürfen, die nicht vollständig ins Konzept passen, damit er bei der Stange bleibt. Am Ende des Weges sollte jedoch ein Hard-working-talent – ein hart (oder besser: klug) arbeitendes Talent – stehen.

Der komplette Beitrag ist in leichtathletiktraining 2+3/2022 erschienen. 
 

 

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